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  • angelinaekkert

Stil und Spiel (1)

Eine stilanalytische Untersuchung des Computerspiels am Beispiel ICO


Einleitung

 

Der Text basiert auf einer Hausarbeit vom 31.10.2019


Der Blick fällt auf zwei Schemen, die sich vom goldgelben Grund abheben. Es scheint sich um Menschen in Bewegung zu handeln, da weite Schritte andeuten, dass sie rennen. Die vorauslaufende Figur fällt dadurch auf, dass ihr eine Art Horn aus dem Kopf ragt und sie einen langen Stock in der einen Hand hält. An der anderen Hand geführt folgt ihr eine etwas größere, unbewaffnete Gestalt.


ICO - Coverillustration © Bluepoint Games | Sony Interactive Entertainment

Harte Körperschatten bedecken ihre Leiber und versagen dadurch Betrachtenden die Erkenntnis von Eigenschaften wie Alter oder Geschlecht. Ihr Weg zum rechten Bildrand wird gesäumt von massiven Steinbauten, deren Konstruktion unwirklich und bei näherer Betrachtung unsinnig erscheint. So fällt im Verhältnis zu den Laufenden die Architektur der Windmühle im Hintergrund übergroß aus, oder eine wahllos platzierte Leiter am Gebilde im Vordergrund führt ins Nichts. Obwohl die Figuren winzig und verloren in der wüstenhaft anmutenden Landschaft wirken, schafft die Komposition paradoxerweise ein Gefühl der Beklemmung. Die kolossalen Bauten schließen den Bildraum nach oben; gleichzeitig staucht der dramatisch verfinsterte Himmel die Szenerie. Währenddessen bedrängen dunkle Schlagschatten das Paar in der Horizontale. Trotz anbahnender Gewitterwolken scheint außerhalb des Sichtfelds eine grelle tiefstehende Sonne, deren Licht das Bild stark kontrastiert. Ein zerbrochener Zaun am Kopf der Windmühle sowie die Abwesenheit von Flora und Fauna suggerieren Verlassenheit und Verfall. Nur ein Hauch von Blau in der unteren rechten Bildecke deutet vielleicht Wasser und damit ein Zeichen von Leben an. In der weiten Ferne könnten mit Bäumen bedeckte Hügel auf eine lebenswertere Landschaft verweisen. Womöglich ist das das Ziel der fliehenden Protagonisten.


Diese Darstellung ziert das Cover des 2001 für die Playstation 2 veröffentlichten Computerspiels Ico des japanischen Entwicklerstudios Team ICO.1 KennerInnen verstehen die Anspielung auf die Kunstwerke Giorgio de Chiricos an der Farb- und Formensprache, die dessen Werke ebenso wie das Covermotiv prägen. Elemente wie die schrillen Farbkontraste, harte dunkle Schattierungen und unwirkliche Bauten etablierten sich durch Wiederholung im Œuvre zum unverwechselbaren Personalstil des Surrealisten.2


Anders als in der Kunstwissenschaft scheint der Begriff ‚Stil‛ aber kaum als Gegenstand bei Analysen von Computerspielen in Erscheinung zu treten. Häufig wird für die Besprechung von Spieleinhalten auf Genrekategorien zurückgegriffen oder die einzelnen Stilelemente werden zwar detailliert, aber dafür isoliert betrachtet. Beide Vorgehensweisen haben ihre Berechtigung und liefern wertvolle Erkenntnisse. Liest man aber einen Text zum Genre im Computerspiel wie beispielsweise den Beitrag von Andreas Rauscher genauer, lässt sich feststellen, dass mit Begriffen wie „stil prägend[...]“3 oder „Stilformen“4 immer wieder von Stil die Rede ist. Der Terminus wird jedoch stets dem Genre untergeordnet.

Ausgehend von diesem Defizit soll das Ziel des vorliegenden Aufsatzes sein, aufzuzeigen, dass durch die Betrachtung von Stilelementen in ihrem Wechselspiel eine mehrschichtige Interpretation von Games möglich sein kann. Dabei können Inhalte genauer bestimmt werden, als die meisten Genrebegriffe sie zu fassen vermögen, und die Aussagekraft einer These lässt sich steigern, indem die Ergebnisse von mehreren Untersuchungsgegenständen zueinander in Beziehung gesetzt werden.


Als Beispiel für eine solche Stilanalyse soll das bereits vorgestellte Computerspiel Ico dienen, dessen ästhetischer Eigenanspruch es zu einem interessanten Untersuchungsgegenstand für die Kunstwissenschaft macht. Dass Stil für Geschäftsführer und Hauptdesigner Fumito Ueda eine wichtige Rolle spielt, lässt sich nicht nur anhand der Covergestaltung zeigen.

Seine Arbeitsweise beschreibt er selbst als „design through subtraction“.5

Dieser der Minimal Art entlehnten Vorgehensweise, durch Reduktion einer Sache ihren Kern zu betonen, verdankt Ueda den Ruf, seine Werke seien minimalistisch.6 Ein minimalistisches Computerspielkonzept kann nur verstanden werden, wenn ein nicht-minimalistisches Game als Konterpart herhält, denn die „Idee des [Stils] ist […] auf vergleichenden Gebrauch angelegt.“7 Demnach widmet sich der Hauptteil dieser Arbeit der Frage: Was kann der Stil des Computerspiels Ico unter Rückbezug auf Vergleichswerke den Spielenden über es verraten? Auf Basis der Ergebnisse wird anschließend entschieden, ob sich der Stilbegriff für die Erschließung von Computerspielen eignen könnte oder ob dieser zurecht anderen Zugängen untergeordnet wird. Der Analyse werden zwei kurze Kapitel vorangestellt. Eine allgemeine, kritische Vorüberlegung zum Stil soll die Frage nach Aktualität und Relevanz von Stilanalysen klären, während eine Zusammenfassung zu Ico einen Überblick über den Plot des Spiels verschaffen soll. Im Hauptteil folgt anschließend die Betrachtung dreier für Ico stilistisch relevanter Untersuchungsobjekte: das HUD, die Spielwelt sowie ihre Präsentation und die Verbildlichung des Gameplays.


[Fortsetzung folgt!]


 

1 2011 erschien Ico (Eigenschreibweise ICO) in Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Studio Bluepoint Games als HD-Remake für Playstation 3. Bis auf die Optimierung der Auflösung unterscheidet sich die Neuauflage jedoch nicht weiter von seinem Vorgänger.

2 Verschiedene Quellen nennen The Nostalgia of the Infinite im Besonderen als Inspirationsquelle für das Covermotiv zu Ico. Lorenzo Canova schlägt zudem noch das Werk Mystery and Melancholy of a Street als weitere mögliche Vorlage vor (vgl. Canova, Lorenzo (2013): Metaphysical, Spectral and Post-Human. De Chirico’s Shadow on Art’s Visionary Path: From Surrealism to contemporary Science Fiction in Literature, Cinema and Videogames. 87. In: Metaphysical Art 11. S. 75-87. Online unter: http://www.fondazionedechirico.org/wp-content/uploads/6.-Metaphysical-Art-n.11-13_L.Canova_2014_ENG.pdf (zuletzt aufgerufen am 05.04.2019)).

Darüber hinaus äußert Canova die Vermutung, dass es sich bereits beim Titel Ico um die letzten drei Buchstaben aus ‚de Chirico‛ handelt und somit auch um eine direkte Anspielung auf den Künstler (vgl. ebd.: 86).

3 Rauscher, Andreas (2018b): Genre. 344. In: Game Studies. Hrsg. von Benjamin Beil, Thomas Hensel und demselben. Wiesbaden: Springer (= Film, Fernsehen, Neue Medien). S. 343-362.

4 Ebd.: 345.

5 Stuart, Keith (2015): The Last Guardian: Fumito Ueda‘s quest for epic minimalism. Online unter The Guardian: https://www.theguardian.com/technology/2015/jun/19/the-last-guardian-fumito-ueda-sony (zuletzt aufgerufen am 25.03.2019).

6 Vgl. ebd.

7 Brückle, Wolfgang (2018): Stil. 311. In: Grundbegriffe der Kunstwissenschaft. Hrsg. von Stefan Jordan und Jürgen Müller. Reclam: Ditzingen ( = Reclams Universal-Bibliothek Nr. 19559). S.311-315.

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